Most underrated SF-Novels
Und wieder einmal ist es Zeit für Meinungsvielfalt, in unserer Rubrik »Multiversum«. Diesmal haben wir nach den unbeachteten Meisterwerken gefragt. Tolle SF-Romane, die vielleicht schon vor längerer Zeit erschienen sind und die niemals die Aufmerksamkeit und Würdigung erfuhren, die sie eigentlich verdient hätten. Bücher, die in die Kategorie »Most Underrated SF-Novel« fallen.
Michael Iwoleit, Autor, Übersetzer, Herausgeber (u.a. Nova, Internova): Hilbert Schenck, At the Eye of the Ocean (1980) – Science Fiction ist eine im Kern pessimistische Literatur. Es fällt schwer, SF-Bücher mit einer optimistischen Grundstimmung zu finden, die nicht ins Kitschige verfallen. Mit diesem Buch – der Lebensgeschichte eines Mannes mit dem ungewöhnlichen Talent, Meeresströmungen und Wetterbewegungen über dem Meer zu erspüren – ist dem Autor etwas gelungen, was die meisten SF-Autoren gar nicht erst versuchen: Eine kraftvolle Bejahung des Lebens und der Liebe, mit am Ende fast mystisch überhöhten Figuren, die dennoch glaubhafte Charaktere bleiben. Schenck gelangte in der amerikanischern SF der Siebziger zu vorübergehender Prominenz, ist aber heute praktisch vergessen. Auch seine Stories und sein Roman A Rose for Armageddon, wenn auch weniger stark als dieser, lohnen eine Wiederentdeckung.
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Hardy Kettlitz, Publizist, Autor zahlreicher Texte zur SF-Literatur, Herausgeber der Reihe SF-Personality: George Turner, Sommer im Treibhaus (1987; The Sea and Summer) – Subtiler, spannender Roman aus Australien über Treibhauseffekt und die Weltwirtschaft. Ward Moore: Der große Süden (1953; Bring the Jubilee) – Alternativweltroman, in dem die Südstaaten den amerikanischen Bürgerkrieg gewinnen. Mike Resnick: Das Zeitalter der Sterne (1982; Birthright: The Book of Man) – Großartige Future History in Erzählungen. Lohnt auch mehrfaches Lesen.
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Arno Behrend, Publizist, Autor und Mitorganisator des DortCon: Elleander Morning von Jerry Yulsman – In einem detailreich geschilderten Jahr 1983, das völlig anders ist, als jenes, das wir erlebt haben, sorgen zwei Bücher für Aufregung, die ein nie stattgefundenes Ereignis allzu glaubwürdig darstellen: einen zweiten Weltkrieg! Dieses Buch hat einfach alles: Phantastik, Spannung, Romantik, Erotik und eine verblüffende Detaildichte. Die Todesgarde von Philip George Chadwick – Ein Soldat des Ersten Weltkrieges erschafft mit biotechnologischen Methoden eine nichtmenschliche Armee. Wie Chadwick schon 1939 in diesem Roman die Gentechnologie voraussieht, ist atemberaubend – eine Vision von gestern, die den Leser heute frösteln lässt! Das Automatenzeitalter von Ri Tokko – Ri Tokko hat sich in dieser Utopie aus dem Jahre 1930 von der Automatisierung die vollständige Befreiung des Menschen von der Arbeit erhofft. Fertighäuser, Solarenergie, das Internet, Wetterkontrolle und Gentechnik – das alles hat Ri Tokko vorweggenommen. Seine gesellschaftlichen Visionen sind aus heutiger Sicht teils traumhaft, teils völlig indiskutabel –In jedem Fall ist sein Ideenreichtum außergewöhnlich.
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Christian Hoffmann, SF-Kritiker, Publizist, Autor von Sekundärtexten zur SF: Das Rätsel der Creeps von Daniel S. Garnett, der wie Haldemans Ewiger Krieg zur Zeit des Vietnamkrieges entstand, ist eine brillante Satire, in der mit Drogen ruhiggestellte Raumsoldaten in den Kampf gegen die bösen, bösen Creeps ziehen. Oder das zumindest glauben… – Weitaus weniger bekannt als Asimovs Roboter-Geschichten ist Roderick von John T. Sladek, dessen mechanischer Titelheld immer wieder mit menschlicher Dummheit und Bosheit konfrontiert wird. Vergesst Asimovs Robotergesetze: hier kommt Roderick! Der Mann ohne Vergangenheit von Charles L. Harness ist eine der besten Space Operas überhaupt. Wird von Kritikern oft auf eine Stufe mit den Werken A. E. van Vogts gestellt, erreichte jedoch leider nie deren Popularität.
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Alex »molosovsky« Müller, SF-Blogger, Kritiker, Übersetzer (Ted Chiang): A.S. Neil, Die grüne Wolke – Klassiker der wilden Jugendliteratur aus dem Jahre 1938. Irgendwo zwischen Endzeit-SF, Abenteuertumult und völligem Chaos. Übersetzt von Harry Rowohlt. Empfohlen sei die Ausgabe mit den Illus von F. K. Waechter (oder das von Herrn Rowohlt selbst eingelesene Hörbuch). William Browning Spencer, Résumé With Monsters – Siebzehn Jahre ist dieser Roman alt und immer noch unübersetzt im Land der mehrfachen Lovecraft-Ausgaben. Hier trifft kosmisches Grauen auf moderne McJob-Arbeitswelt … mit Romanze! J. M. DeMatteis (Text) & Glenn Barr (Zeichnung), Brooklyn Dreams – Feine S/W-Psychophantastik die grandios mit Stimmungen, dem Kontrast von Realismus, Cartoon & Phantastik spielt. War vergriffen, ist nun in schöner einbändiger (engl.) Ausgabe zu haben.
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